Die Krise des deutschen Journalismus – Teil 2: Die ZAPP Redaktion – Das Asow-Regiment der ARD
Das NDR Medienmagazin „ZAPP“ hat in seiner neuesten Ausgabe den 7 Minuten Beitrag „Wie Frieden für Propaganda missbraucht wird“ über die Druschba Friedensfahrt 2017 nach Russland veröffentlicht.
Ich habe an dieser Fahrt auf der Kaukasus Route nach Tschetschenien teilgenommen und werde aus meinem selbstgedrehten Material dazu im Winter einen eigenen Film schneiden. Ich habe also Hintergrundwissen, sowohl über die Fahrt, als auch über die Protagonisten sowie über Journalismus – theoretisch und durch 30 Jahre Berufspraxis.
Aus meiner Sicht ist der ZAPP-Beitrag grottenschlecht, ein Tiefpunkt des deutschen TV-Journalismus. Er ist aber trotzdem nicht unnütz. Das miese Fernsehstück, auf den die Mehrheit der kommentierenden Zuschauer ähnlich wie ich reagiert, kann hervorragend als schlechtes Beispiel dienen. An ihm lässt sich idealtypisch erklären, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk dringend reformiert werden muss.
Die Liste der Mängel ist lang, aber sie ist nicht langweilig. Es lohnt sich, bis zum Ende durchzuhalten. Versprochen!
Ich möchte zuerst den Ist-Zustand darstellen. Der ZAPP Bericht erzeugt folgenden Eindruck:
Der dubiose Westliche-Werte-Hasser Rainer Rothfuß hat mit seinem Kumpan, dem Kreml-U-Boot und cholerischen Hassprediger Owe Schattauer sowie einer unklaren Anzahl von Gleichgesinnten kostenlos Russland bereist, um für Putin Propaganda-Fotos zu schießen. Die wurden dann in einer Ausstellung in Berlin gezeigt.
Geholfen hat ihnen dabei eine gefährliche russische Rockergruppe, die „Nachtwölfe“. Sie sind Putins Hells-Angels-Eingreiftruppe.
Ein Experte der renommierten „Zeit“ erläutert, warum die Friedens-Propaganda von Rothfuss, Schattauer etc. perfide und gefährlich ist.
Die Berliner Propaganda Ausstellung wurde von russischen Staatsmedien gehypt, die Fotos dann von den russischen Einflussagenten von Druschba in nichtsahnende deutsche Lokalmedien infiltriert. Vom NDR zu diesem skandalösen Vorgang befragt, wollten viele Zeitungen nicht antworten, nur die Märkische Allgemeine war bereit, Asche auf ihr Haupt zu streuen und zuzugeben, dass sie hätte merken müssen, wem Sie da auf den Leim gegangen ist.
So weit, so schlecht. Aber warum behaupte ich, dass das kein Journalismus ist, auch kein pointierter politischer Beitrag, sondern schlicht grottenschlechter Propagandamüll? Mit dieser Frage wären wir beim Soll-Zustand. Zu einem Bericht gehört, erst einmal darzustellen, worum es geht. Dazu dient die Faustformel der 7W (Wer, Was, Wo, Wie, Wann, Warum, neuerdings: welche Quelle).
Und da fällt auf, was alles in dem NDR Beitrag falsch ist oder weggelassen wird:
1. Die Idee zur Fahrt stammt nicht aus dem Kreml, sondern aus der privaten, spontanen Initiative von
• Dr. Rainer Rohfuss, bis 2015 Professor für politische Geographie an der Uni Tübingen. Sein Spezialgebiet: Feindbilder.
• Owe Schattauer, Bauunternehmer und Rapper (C-Rebell-um), als DDR-Bürger oppositioneller Aktivist, er wurde 1989 von der Militärpolizei verhaftet, weil er als NVA Soldat in Uniform an einer „Menschenkette für einen friedlichen Umbruch in der DDR“ teilnahm.
Diese Tatsachen werfen schon mal ein ganz anderes Licht auf die Protagonisten als es der NDR tut. Die beiden sind also Experten in Sachen Feindbilder und Zivilcourage.
2. Die Druschba-Initiative soll einem einzigen Zweck dienen: möglichst viele Menschen sollten auf möglichst vielfältige Weise bei einer Reise durch Russland Land und Leute kennenlernen, um auf beiden Seiten Feindbilder abzubauen und damit praktische Friedensarbeit zu leisten. Denn Feindbilder lassen sich nur durch Distanz zum „Feind“ erzeugen und aufrechterhalten. Die De-Humanisierungstrategie, die allen Kriegen vorausgeht und unverzichtbar ist, wenn Regierungen ihre Bürger zum Töten nutzen wollen, kollabiert, sobald der Feind ein menschliches Antlitz erhält. „Reisen tötet Vorurteile“, kommentierte schon Mark Twain. „Wer Krieg will und töten will, braucht Vorurteile. Er sollte Reisen und direkte Kontakte verhindern“ könnte man hinzufügen.
Die Auffassung, dass es kein besseres Mittel gibt, um sich ein Urteil über ein fremdes Land und eine fremde Kultur zu bilden, als sie vor Ort hautnah zu erleben, war bisher Allgemeingut in demokratischen Ländern, die deshalb den Grundwert der Reisefreiheit hochhielten.
Der NDR sieht das anders. „Niemand hat vor, eine Mauer zu bauen“. Der ehemalige DDR Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht und ZAPP sind Brüder im Geiste. Sie wollen Mauern, beteuern aber das Gegenteil. Der direkte Kontakt der Druschba-Fahrer missfällt den NDR Journalisten. Sie diskreditieren die Fahrt, markieren die Teilnehmer in der bewährten McCarthy Manier als zu isolierende Gefährder. Schon berufen sich Politiker auf den NDR Beitrag, um eine weitere Friedens-Aktionen zu meiden, wie das Pflanzen von Zirbelkiefern mit den russischen Eltern der bei der Flugzeug-Katastrophe von Überlingen gestorbenen Kinder. Das sollte die Alarmglocken beim Publikum schrillen lassen. Welchem Zweck dient die Denunziation? Wer braucht die Möglichkeit, ungestört Feindbilder zu installieren? Welche Rolle spielt dabei der NDR? Welche Rolle sollte der öffentlich-rechtlichen Rundfunk spielen?
3. Die Zahl der Interessenten der Druschba Fahrt war durch einen wesentlichen Faktor limitiert: Jeder Teilnehmer der immerhin dreiwöchigen Reise musste die Kosten selber tragen. Das verlangt viel Idealismus – und Geld. Die meisten der etwa 350 Teilnehmer aus 14 Nationen fuhren auf insgesamt sechs verschiedenen Routen 5000 – 9000km mit dem eigenen Auto durch Russland.
4. Die Erfahrungen der Reiseteilnehmer waren durch die Strapazen der Fahrt, vor allem aber durch die große Herzlichkeit und freundliche Neugierde der russischen Menschen geprägt, denen wir begegneten. Wir hatten nirgendwo Probleme, Kontakte zu knüpfen. Es war eindeutig, dass Russen kein schlechtes Deutschlandbild haben, im Gegenteil, sie sind auf beschämende Weise gastfreundlich. In diesem Urteil ist sich die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer einig. (Fast hätte ich geschrieben: alle Teilnehmer. Aber ich kenne ja nicht alle Teilnehmer.) Auffällig war: während die Autos mit deutschen und russischen Fähnchen und Fahnen in Russland stets freundlich, mit Hupen und Winken begrüßt wurden und direkter Kontakt gesucht wurde, je ländlicher die Umgebung, desto freundlicher, änderte sich das nach dem Übertritt auf polnisches und deutsches Gebiet. Hier dominierte Desinteresse, offene Abneigung oder sogar Feindschaft. Offenbar haben Propaganda Sender wie z.B. ARD und ZDF bei der Feindbildverbreitung ganze Arbeit geleistet, dass russische Staatsfernsehen aber nicht, obwohl dessen Wesenskern angeblich propagandistische Berichterstattung ist, weswegen das westliche Publikum vor ihm geschützt werden muss. In NATO-Lettland zum Beispiel wurde der Konvoi konstant von der Polizei überwacht und gefilmt, selbst das Haupt-Hotel der Druschba Fahrer. Passanten wollten mir dort kein Interview auf die Frage nach der russischen Bedrohung geben: „Sie sind doch aus dem Westen und wissen wie das Spiel läuft. Wenn ich Ihnen antworte, verliert mein Sohn seinen Job. Das nennt man Meinungsfreiheit.“
Aussagen zu diesem Thema hätte natürlich nicht in den geplanten Beitrag gepasst.
Logische Schlussfolgerung: ZAPP hat lieber überhaupt keine Teilnehmer der Fahrt interviewt. Klar: man wollte sich die Storyline nicht durch unpassende Stellungnahmen kaputtmachen.
Natürlich bestand auch die oft genutzte Möglichkeit, so lange Interviews zu führen, bis man die zur Redaktionslinie passende Stellungnahme eines nicht allzu intelligenten und nicht allzu gutaussehenden Teilnehmers im Kasten hat, aber diesmal kamen die NDR Redakteure komplett ohne Teilnehmer-Interviews aus.
5. Das Interview mit Dr. Rothfuß hingegen wurde nach dem oben beschriebenen Muster bearbeitet. Dr. Rothfuß ist ein Intellektueller und christlicher Peacenik, es fiel deshalb auch böswilligen Profis schwer, irgendetwas aus ihm herauszuholen, was in das ZAPP Sendekonzept passte, aber aus einer Stunde Interview nutzte das Autorenteam einen Moment der dezenten Selbstkritik von Rainer Rothfuß, den es entsprechend im Beitrag verwurstete: Es ging um die Hilfe der „Nachtwölfe“, einer russischen Bikergruppe. Soll man sich von Rockern der Kategorie Hells Angels helfen lassen? Ich würde sagen: Nein. Nur – die Nachtwölfe sind keine Hells Angels.
6. Die Nachtwölfe haben den Druschba Friedensfahrern sehr praktisch und sehr zuverlässig zur Seite gestanden. Eine Delegation hat an jedem Etappenziel auf die Kolonne gewartet, und Probleme mit Autoreparaturen, Unterkünften, Behördenkram etc. schnell und effektiv bearbeitet. Die Nachtwölfe waren stets hilfsbereit, akkurat und pünktlicher als die Deutschen. Ich habe keine versoffenen Gewaltkriminellen erlebt, sondern wortkarge Motorradritter. Die Nachtwölfe sind Biker, die sich durch eine Mad Max Ästhetik auszeichnen, betont machomäßig auftreten und agieren. Damit sind die Ähnlichkeiten mit westlichen Rockern aber bereits erschöpft. Sie haben nichts mit Drogen, Alkohol, Prostitution und Schutzgelderpressung zu tun. Sie haben die Bikermentalität transformiert, russifiziert. Die Nachtwölfe sind eine Kategorie für sich. Sie haben mit den Hells Angels, mit denen sie die Bild-Zeitungen vergleicht, herzlich wenig gemein.
Ich habe auf der Fahrt fast jeden Interviewpartner danach gefragt, was er von den Nachtwölfen hält, mit der Frage: Haben Sie vor den Nachtwölfen Angst? Die Antworten waren einheitlich: Erheiterung und Unverständnis. Die Frauen haben meist gekichert: „Schöne Männer!“ Der Ruf der Nachtwölfe ist insbesondere bei russischen Frauen sehr gut.
Das Männerbild der meisten von mir befragten Russinnen und das Männerbild der meisten männlichen Russen ist wenig kompatibel mit dem von ARD Redakteurinnen, Redakteuren, und solchen, die sich nicht entscheiden können. Die Nachtwölfe werden von westlichen Journalisten gerne als homophob bezeichnet. Die Bezeichnung ist zumindest nicht abwegig. Ich finde, dass Homophobie eine völlig zu Recht in Ungnade gefalle Ansicht ist. Aber als Journalist hat man in vielen Teilen der Welt mit Ansichten umzugehen, die einem nicht gefallen. Die Haltung zu Homosexuellen ist in den meisten Ländern außerhalb der westlichen Welt homophob, auch in der Ukraine oder Georgien. Das ist keine russische Besonderheit. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Fragen nach geschlechtlicher Orientierung, Identität und russischen Homosexuellen deswegen so hoch gehängt werden, weil es sonst nichts mehr gibt, mit dem sich der Westen als fundamental unterschiedlich zum bösen Feind darstellen kann.
Folter, Bespitzelung, Unterdrückung, verrottende Industrie, alles Begriffe, die man früher in erster Linie mit dem „Kommunismus“ in Verbindung brachte, gehören ja seit spätestens 2001 auch zum Repertoire des „Freien Westens“. Die angeblich heiligen Grundsätze des Westens wurden einerseits konstant propagandistisch genutzt und andererseits konstant mit Füßen getreten, wie jeder feststellt, der sich 15 Minuten mit der Geschichte der CIA und den seit den 50er Jahren durchgeführten „Regime Changes“ beschäftigt. Nach der Irak-Krieg-Lüge und Snowdens Wahrheiten funktioniert diese Propaganda nicht mehr so richtig gut.
Seitdem werden plötzlich LBGT-Rechte zu einem der wichtigsten Themen der Welt, zum alleinseligmachenden Unterschied der Systeme. Ich weiß aber noch, wie es war, 1994 (!), als der bigotte Schwulenparagraph §175 endlich abgeschafft wurde. In weiten Teilen der deutschen Bevölkerung galt damals „schwul“ weiterhin als krankhaft.
Und wir trauen uns wirklich, eine dicke koloniale Lippe zu riskieren, nur weil viele Russen auf dem gleichen Stand sind wie wir vor 50 Jahren? Und wenn das Herz so vieler Journalisten an diesem Thema hängt, wieso sind unsere Medien dann weniger aktiv, wenn im schwulenfeindlichen Kongo US Missionare die Todesstrafe für Homosexuelle propagieren? Wenn in der Ukraine ein Kino angezündet wird, das während eines Festivals einen schwulen Film zeigt? Wenn in Georgien Popen mit Stühlen Schwule verdreschen?
Hat da noch jemand außer mir den Verdacht, dass es bei der Empörung über Russland oft nicht wirklich um Minoritätenrechte geht?
Die Nachtwölfe kümmern sich auch um Soldatengräber, Behinderte und Kinder, wurde mir berichtet – von Frauen. Die Nachtwölfe werden bei Veranstaltungen oft von Popen begleitet, sie sind dezidiert patriotisch und orthodox christlich, aber „unsere“ Nachtwölfe hatten zum Beispiel in Königsberg einen jüdischen Chef und in Grosny einen muslimischen. Russland ist nun mal ein Vielvölkerstaat.
Der Chef der Nachtwölfe Alexander Saldostanow wird „Der Chirurg“ genannt, weil er genau das ist, nämlich Gesichtschirurg. In Deutschland war er Türsteher. Er ist ein muskelbepackter Hüne, der in jedem Hollywoodfilm eine gute Figur machen würde, aber auch ein Intellektueller und Künstler. Eine eindrucksvolle Person. Er hat eine fulminante Bühnenshow zur russischen Geschichte auf die Beine gestellt, deren Texte er selbst geschrieben und gesprochen hat. Bereits am Klang erkennt man, dass Saldostanow dichten kann. Seine Sicht auf die russische Geschichte ist für westlich gewaschene Gehirne verwirrend und ungewöhnlich. Aber sie ist kompatibel mit den Ansichten der meisten Russen, mit denen ich gesprochen habe. Wir haben keine Ahnung, was die meisten Russen denken – ein Armutszeugnis für die Arbeit unserer „Qualitätsmedien“.
Die übliche Sicht in Russland: Stalin war brutal, aber der Held, der die UdSSR vor den Nazis gerettet hat, Chrustschow war ein Aufbruch, die Jugend war in den bleiernen Breschnew Jahren doch ganz schön, Gorbatschow ist verhasst, weil er den sowjetischen Staat zerstörte, ohne danach etwas aufzubauen und die Jelzin Jahre waren die schlimmsten, die Russland je erlebt hat. Das war der Zusammenbruch der Ordnung, der Ausverkauf der Ressourcen, bittere Armut für so viele Menschen – und Gewaltkriminalität bestimmte den Alltag. Und Putin? Er hat diese Probleme in den Griff gekriegt, Russland gestärkt und seit seinem Amtsantritt 2000 sind die Einkommen um ca. 250% gestiegen. Ich frage mich, ob vergleichbare Leistungen, hätte sie einer unserer Politiker vorzuweisen, nicht 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche in ARD und ZDF mit Lobpreisungen überschüttet würden, bis Blut aus den Ohren kommt. Aber über die Leistungen des bösen Putin soll „Vox Stimmvieh“ besser nicht so genau informiert werden. Es soll den „Machtmensch Putin“ fürchten und hassen. Feindbilder genügen als Denkschablone für den gemeinen Fußgänger.
Wenn ein Journalist merkt, dass die übliche Sichtweise zu Hause nicht mit den Beobachtungen vor Ort übereinstimmt, oder dass er eine interessante Person vor sich hat, sollte er neugierig werden, versuchen, den Sachverhalt, den Ist-Zustand aufzuklären und darüber zu berichten – bevor er urteilt. Falls man überhaupt urteilen muss, wenn so viel geradezurücken ist. Viele Fragen drängen sich auf:
Wie sieht Saldostanows Geschichtsbild aus? Welchen Werten sind die Nachtwölfe verpflichtet? Wie ist ihr Ansehen in der Bevölkerung zu erklären? Wird da schöngefärbt? Welche westlichen Gerüchte und Medienberichte über die Nachtwölfe sind wahr, welche irreführend, welche erfunden? Wie sehen die Nachtwölfe selbst ihre Rolle? Wie stehen sie zur Gewalt? Warum sind sie so vehement patriotisch („Wo wir sind ist Russland“)? Wie nah stehen sie Putin? Unterstützen sie ihn bedingungslos?
All das sind Fragen, die ich verschiedenen Nachtwölfen, Saldostanow und Passanten gestellt habe. Die Antworten sind komplex und überraschend.
Die NDR ZAPP Journalisten hingegen haben es nicht nötig, neugierig zu sein. Sie müssen nirgendwo hinfahren, sie müssen niemand fragen, sie müssen nichts lernen. Ihr Urteil steht schon vorher fest. Sie wollen es nur in immer neuen Wiederholungen ausformulieren.
Als Quelle ihres Urteil nutzen sie das unfehlbare Wissen der Anti-Russland-McCarthy-Atlantikbrücken-Inquisition, sie versuchen, die Weltsicht eines Publikums aus transatlantisch gefestigten Persönlichkeiten zu bestärken, statt es durch verwirrende Antworten zu gefährden. Die ZAPP Redaktion drechselt folgerichtig zu Bildern aus der Bild Zeitung (!) und unter Verweis (!) auf einen gleichgesinnt manipulativen Artikel (!) des Qualitätsmediums „Bild“ vernichtende Sätze und negative Wertungen zu den Nachtwölfen und Saldostanow.
Der gesamte Beitrag ist durch diese Attitüde geprägt. Alles andere wäre ja auch Häresie. Oder Journalismus.
Und den Vorwurf des Journalismus sollte man der NDR ZAPP Redaktion nun wirklich nicht machen.
7. Auf der Fahrt wurde viel darüber geredet, dass kein einziges (!) deutsches Mainstream-Medium über die Druschba Fahrt berichtete. Auch KenFM und NuoViso, die im ZAPP-Betrag genannt werden, waren nicht dabei. Die Behauptung im ZAPP Bericht gehört in die Kategorie recherchefrei produzierte Fake-News. Aber dafür sind die ZAPP Autoren ja Spezialisten. Nur ganz anders, als man denkt, wenn jemand im öffentlich-rechtlichen Deckmantel daherkommt.
Die Friedensfahrt-Teilnehmer waren über die mediale Enthaltsamkeit nach den Erfahrungen der Fahrt 2016 nicht wirklich überrascht. In Russland dagegen waren an fast jeder Etappe Lokalmedien vertreten. Die Druschba-Inititative wurde mit großem Wohlwollen betrachtet, von den Medien wie von der Bevölkerung, mit der wir sprechen konnten. Ich habe von vielen Russen gehört, welcher Familienangehörige wo in der DDR stationiert war, wie sehr man die deutsche Kultur schätze und dann öfter die Frage gehört, warum die deutsche Regierung keine eigene Meinung zur Außenpolitik hat, sondern nur macht, was die Amerikaner vorgeben? Und dann die Frage, ob die meisten Deutschen wirklich so denken wie ihre Regierung?
Weil die großen deutschen Medien geschlossen die Kommunikation und Berichterstattung verweigerten, entstand im Druschba Chat-Forum, dem Hauptkommunikationmittel der Fahrt, die Idee, dass Teilnehmer ihre Regionalzeitungen anschreiben. Diese Idee hatte wenigstens teilweise Erfolg.
Diesen Aufstand der Untertanen wollen die Aristokraten, die Agenda-Setting-Meinungselite in Zeitungen und Funkhäusern offenbar nicht hinnehmen. Das wäre ja noch schöner, wenn jetzt der Pöbel mitbestimmen darf, ob man über eine Friedensfahrt berichtet, statt über die russische Bedrohung. Insubordination muss bestraft werden. Und das übernahm ZAPP dann mit dem Experten der „Zeit“. Die Idee der Lokalberichterstattung, aus der Not der Druschbafahrer geboren, wurde im NDR flugs in eine angeblich perfide geplante Kampagne des Kremls uminterpretiert. Recherche- und faktenfrei.
8. Die ZAPP Autoren Duwe und Aid zeigen als Gewährsmann für ihre Einschätzung der Druschba Fahrt den Zeit-Journalisten Steffen Dobbert. Das passt ins Bild. Dobbert hat sich für Waffenlieferungen an die Ukraine eingesetzt. Er hat eine Masterarbeit über Hybride Kriegführung geschrieben, die sich ausschließlich mit Russland beschäftigt. Er arbeitete für die FAZ, Spiegel Online, die Süddeutsche und die Zeit, also die Zentralorgane der Atlantikbrücke.
Und er hat einen Artikel verfasst, der mich wirklich verblüfft hat: „Vera Putinas verlorener Sohn.“ Inhalt: Der unehelich geborene Putin soll nicht bei seiner leiblichen Mutter aufgewachsen sein, sondern bei Pflegeeltern. Damit das nicht bekannt wird, beging der russische Geheimdienst, nach Dobberts Darstellung, reihenweise Morde, ließ sogar ein Flugzeug abstürzen. Dobbert versteigt sich zu der Behauptung: „Stimmt dieses Geheimnis und wäre es früher bekannt gewesen, hätte es womöglich die Weltgeschichte verändert. Wladimir Putin wäre vielleicht nie Präsident geworden. Der Krieg in Tschetschenien wäre anders verlaufen, die Kriege in Georgien und der Ukraine hätte es wahrscheinlich nicht gegeben. Kann sein, dass Russland und die Europäische Union heute partnerschaftlich verbunden wären.“
Das ist die zwingende Schlussfolgerung aus der Behauptung, dass Putin unehelich geboren sein soll? Wirklich? Dobberts Artikel ist bereits an anderer Stelle dekonstruiert worden: „Ein Bubenstück antirussischer Propaganda: Steffen Dobbert, „Die Zeit“ und der uneheliche Sohn Wladimir Putin.“
Mir fällt dabei vor allem auf, wie selektiv die Verwendung des Begriffs „Verschwörungstheorie“ in den Qualitätsmedien ausfällt. Dieser Beitrag geht ok? Wirklich? Er ist keine Verschwörungstheorie? Der Mainstream hat offenbar keine Standards, aber er beurteilt gerne, was seriös ist und was nicht.
Wer sich das weiter gefallen lässt, trägt letztlich Mitschuld an der Desinformation unserer Lückenmedien.
Die Zeit würde wohl kaum einen Artikel „Überlebte Hitler in Argentinien?“ abdrucken. Obwohl die Argumente für diese These auch nicht schlechter sind als Dobberts „Fakten“.
Und 911 darf überhaupt nicht verhandelt werden, obwohl es dort weit bessere Argumente gibt, um an der offiziellen Version zu zweifeln und an der Berichterstattung zu verzweifeln.
Merke: Was eine unhaltbare Verschwörungstheorie ist und was eine kritische Recherche, bestimmen immer noch Granden wie Josef Joffe, Herausgeber der „Zeit“. Der Mann der sich öffentlich Gedanken darüber machte, ob man Trump ermorden sollte. Man stelle sich vor, Ken Jebsen hätte so etwas über Benjamin Netanjahu geäußert. Damit hätte er es dann endlich in die Hauptnachrichten geschafft, und alle Kommentatoren würden sich vor Abscheu überschlagen.
Tja, alle Tiere sind gleich. Aber einige sind eben gleicher. Oder, wie Groucho Marx sagte: „Dies sind meine unverrückbaren Grundsätze! Aber wenn sie Ihnen nicht passen – ich habe auch noch andere.“
Hat da noch jemand außer mir den Verdacht, dass die Berichterstattung zu Russland bei Zeit und ZAPP ganz anderen Regeln unterliegt als die zur USA?
9. Dobbert, ZAPP und Co. erwecken den Eindruck, dass in der Ukraine alles supergut und ganz toll demokratisch wäre, wenn es nur Wladimir Putin und sein russisches Reich des Bösen nicht gäbe.
In der Ukraine ist aber gar nichts supergut und glitzernd. Die Zustände dort ähneln mittlerweile Chile zu Zeiten Pinochets.
So wird zum Beispiel Rainer Rothfuß nicht nur von ZAPP zum Abschuss freigegeben, sondern von einer ukrainischen Webseite, die „Terroristen, Separatisten Söldner, Kriegsverbrecher und Mörder“ auflistet. In dieser Rubrik ist dann auch Rainer Rothfuß zu sehen, der für „operative Aktivitäten“ freigegeben wird.Die Gruppe „Peacemaker“ (so hieß der berühmteste Colt), die die Webseite mit der Datenbank „Fegefeuer“ gehört, stellt ihre Daten nach eigenen Angaben dem „ukrainischen Geheimdienst, den Streitkräften und andere Sicherheitsorganen“ zur Verfügung. Sie ermuntert auch ausländische Dienste und Sicherheitsorgane, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Worüber ZAPP nicht berichtet. Warum eigentlich nicht??? Das lädt dazu ein, den Propagandastil von ZAPP zu kopieren. Das klänge dann so:
„Befürwortet der NDR, dass Rothfuß bedroht wird? Ist ZAPP ein ausländischer Kooperationspartner der Gruppe „Friedensstifter“, eine Art Asow-Brigade der ARD? Warum hat ZAPP offenbar kein Problem, sich in einem faschistischen Umfeld zu bewegen? Oder hat man bei den Recherchen im NDR übersehen, mit wem man sich da gemein macht?“
Vielleicht, weil man überhaupt nicht im Umfeld recherchiert hat, sondern nur Material gesammelt hat, um einen Atlantikbrücken-Propagandabeitrag zu senden? Was ist eigentlich in der ARD noch alles erlaubt, um die „Friedenshetze“ der Druschba Fahrer zu diskreditieren?
ZAPP hat auch nicht darüber berichtet, dass die Ukraine jeden Besucher der Krim mit 8 Jahren Gefängnis bedroht, zum Beispiel Rainer Rothfuß, Owe Schattauer, mich und noch etwa 50 andere Friedensfahrer, die auf der Krim waren. Oder auch Scooter, der dort ein Konzert gab. Das klingt dann im Originalton des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk so: Ein Besuch der Krim ist „ein Verbrechen mit schwerwiegenden rechtlichen Folgen, eine gravierende Straftat, die weltweit geahndet wird.“
Was für ein Freiheitsverständnis steckt denn hinter solchen Aussagen? Wie findet ZAPP das? So ein bisschen Mauerbau und Einschränkung der Reisefreiheit geht ok? 8 Jahre Haftandrohung sind angemessen? Das mir als Journalist das angedroht wird, wenn ich mir die Situation vor Ort angucke, ist auch voll cool? Und ein chilenisches Geheimgefängnis a la Colonia Dignidad wäre schon eine gute Sache?
Auch das ist nicht übertrieben. Ich habe in Moskau, übrigens im Hauptquartier der Nachtwölfe, über mehrere Ecken einen Kontakt zu einem bekannten ukrainischen TV-Journalisten bekommen, der sich bei der ukrainischen Regierung unbeliebt gemacht hat.
Er hatte die verbrecherische Idee, in einer TV Sendung jeweils eine Konfliktpartei über die Ansichten der anderen Konfliktpartei zu informieren. Ich würde das als hervorragenden Journalismus bezeichnen. In der Ukraine ist auch das „eine schwere Straftat“. Der Kollege wurde dafür zu 9 Jahre Gefängnis verurteilt. Andere ukrainische Kollegen haben mir von Black Sites berichtet, in denen entführte politische Gefangene, auch Journalisten, eingeschüchtert werden. „Wir wissen noch nicht, was wir mit Dir machen. Vielleicht erschießen wir dich morgen, vielleicht verschimmelst Du hier die nächsten 10 Jahre. Und niemand wird je erfahren, wo Du bist.“
Das sind chilenische Zustände. Geht das für den NDR-Medienmagazin in Ordnung, wenn Kollegen so malträtiert werden? Dieses Land muss unbedingt in die EU und die NATO? Fühlt sich die ZAPP-Redaktion gut dabei, einen Betrag über Druschba zu machen, aber all die genannten Tatsachen und Randbedingungen außer acht zu lassen?
Diese Art von höchst selektiver Berichterstattung wird vom ARD Programmauftrag nicht gedeckt. Das riecht nach staatlicher NATO-Propaganda und Kriegsvorbereitung. Statt sich zu beklagen, dass die Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalten so gering ist wie nie zuvor und die Schuld woanders zu suchen, rate ich den ZAPP Kollegen: fassen Sie sich doch mal an die eigene Nase. Es könnte sein, dass Sie dabei einen Pinocchio-Effekt erleben.
Der Beitrag ginge eventuell noch in Ordnung, wenn es andere in ZAPP gäbe, die ein anderes Bild der Lage zeichnen. Aber dem ist nicht so. Und dass sich Redakteure als Erziehungsbeauftragte der Bevölkerung ausgeben und als Lückenpresse in Reihe solche selektiven Beiträge produzieren, ist einfach nur unerträglich.
In einer Welt, in der die Zeitungen absterben, die Mediensysteme verdorren, die Sender in den USA mittlerweile ausnahmslos Konzernmedien sind, oft unter der Obhut von Rüstungsunternehmen, renommierte Zeitungen wie die New York Times immer wieder kriegsvorbereitende Lügenmärchen auftischen wie „Saddam besitzt Massenvernichtungsmittel und will sie einsetzen“, der Beruf des Journalisten ein Ticket ins Prekariat ist, brauchen wir öffentlich-rechtliche Medien wie nie zuvor. Wahrscheinlich sogar öffentlich-rechtliche Zeitungen.
Die Grundidee ist gut. Die Umsetzung unterirdisch.
Die Rolle und Struktur der Medien muss neu begutachtet werden. Ist beides geeignet, die Ziele zu erfüllen, wegen denen die Verfassung eine „freie Presse“ fordert? Die Meinungsfreiheit als „schlechthin konstituierendes“ Element der Demokratie schützt? Die Antwort ist leider ein klares Nein.
Dieser Beitrag ist ein gutes Beispiel, wie sehr die Sender auf den Hund gekommen sind.
Die öffentlich-rechtlichen Medien müssen sich einer tiefgreifenden Reformation unterziehen, sich auf ihre freiheitlichen Grundlagen besinnen, den institutionellen und Parteieinfluss entmachten, die Kommunikation mit der Bevölkerung verstärken und Zivilcourage im Alltag praktizieren, statt sie an Gedenktagen rituell zu feiern.
Das werden sie aus eigener Kraft nicht schaffen. Deshalb muss sich die Öffentlichkeit einmischen, eigentlich Adressat und Maßstab der journalistischen Arbeit. Es genügt nicht, wenn sich die Sender brutalstmöglich selbst untersuchen und sich dann ein Einser-Abitur ausstellen: „Alles paletti an Bord der Titanic, wenn nur die Verschwörungstheoretiker und Populisten nicht wären, die ständig von Eisbergen faseln.“
Böcke zu Gärtnern zu machen war noch nie die Problemlösung. Die derzeit grassierende Kritik der Privaten an den Öffentlich-rechtlichen gehört ebenfalls in diese Kategorie.
Privatmedien haben nicht in erster Linie das Allgemeininteresse im Blick, sondern den „Shareholder Value“, ihre Attacken entspringen keinen lauteren Motiven, sondern sind Ausdruck eines Kampfes um Pfründe und Dominanz in einem kleiner werdenden Markt. Medienkonzerne werden keine systemische Lösung anbieten. Sie sind Teil einer kapitalistischen Struktur, die viel Propaganda braucht, aber keine Kritik.
Demokratie funktioniert aber auch nicht per Dekret von oben. Sie ist nur lebensfähig, wenn sie von unten erkämpft und bewacht wird.
Es ist immer das Gleiche: Wenn wir es nicht selbst in die Hand nehmen, wird sich nichts ändern. Die Bevölkerung muss den dominanten Einfluss in den öffentlich-rechtlichen Medien erhalten. Die Kontrolle muss demokratisch ausgeübt werden. Warum kann z.B. das Publikum nicht bei der Wahl der Funktionselite der Sender mitbestimmen? Und in Zeiten der Elektronik und valider sozialwissenschaftlicher Methoden ist es kein Problem, Publikums-Feedback institutionell zu nutzen.
Das wäre ein Thema, dass die öffentlich rechtlichen Sender in ihrem Programm verhandeln könnten: Wie könnte man die Struktur der Sender den Möglichkeiten der digitalen Revolution anpassen, wie könnte die Rolle des Publikums sinnvoll gestärkt werden, wie könnten die Sender demokratisiert werden?
Wo zum Beispiel kann man sich wirksam über Machwerke wie den ZAPP Beitrag beschweren? Die Sender sind hermetisch abgeschottete Institutionen, an denen Publikumsresonanz abtropft wie Wellen an einem Tanker. Ob man im Sender Karriere macht oder nicht, hat viel mit dem Einfluss von Parteien und Mächtigen zu tun, aber gar nichts mit dem Vertrauen des Publikums. Das Publikum existiert, um zu zahlen und erzogen zu werden.
Wie könnte man die öffentlich-rechtlichen Medien demokratisieren? Wer glaubt, dass so eine Diskussion irgendeine Chance in den Sendern selbst hätte, beweist Unkenntnis über die Arbeitsweise unseres realexistierenden Mediensystems. Unsere Medien würden diese Diskussion mit allen Mitteln der Denunziation behindern, aber sie niemals in Erwägung ziehen. Was beweist, wie bitter nötig der Vorschlag ist.
Für beides, die Denunziation wie die Verachtung des Publikums, ist dieser ZAPP Beitrag ein treffendes Beispiel.